Anekdoten aus dem Vereinsleben

Vom Arbeitergesangverein zum Volks-Chor
Aus dem Vereinsleben des Volks-Chor Lambrecht (1)

Es wurden die handgeschriebenen Protokollbücher, die vollständig vom Gründungstag bis zum Jahr 1992 vorliegen, ausgewertet; der erste Band, der die Niederschriften bis zum Jahr 1924 enthält und noch in Sütterlin geschrieben ist, wurde sogar komplett transliteriert und digital gespeichert. Die Protokollbücher überliefern ein Stück lebendiger Geschichte aus dem Tal. In dieser Serie wollen wir in loser Folge Anekdoten aus dem Vereinsgeschehen berichten.

„Jeder Verein braucht eine Fahne“

Am 28.1.1898 beschloss die Generalversammlung des „Gesangverein Liedesfreiheit“, wie der Volks-Chor Lambrecht e.V. bei seiner Gründung hieß, auf Antrag eines Mitgliedes, eine Vereinsfahne anzuschaffen. Da das Geld hierfür nicht zur Verfügung stand, wählte man eine Kommission, die mit der „Aufbringung der Gelder“ betraut wurde. Bei der Generalversammlung im Folgejahr wurde diese Kommission des Fahnenfonds aufgefordert, Sammellisten in Umlauf zu setzen, da die Sammlung noch keine zufriedenstellenden Ergebnisse brachte. Im Juli 1900, bei der nächsten Generalversammlung, entwickelte sich eine heftige Debatte darüber, wie die Gelder für die Fahne aufzubringen sind. Man muss sich in die Zeit damals versetzten, um zu verstehen, wie schwierig das Unterfangen war. Der Gesangverein „Liedesfreiheit“ war ein Arbeitergesangverein. Er hatte sich gegründet, weil die Arbeiter in anderen Gesangvereinen oft nicht geduldet waren. Der Monatsverdienst eines Arbeiters betrug um die 60 Mark, meist aber weniger. Ein Hinzuverdienen der Frauen war damals nicht üblich. Ein Kilo Mehl kostete damals 36 Pfennig, ein Kilo Schweinefleisch 1,50 Mark, ein ilo Kaffee 4,15 Mark und ein Herrenanzug 10 Mark. Der Monatsbeitrag für den „Gesangverein Liedesfreiheit“ betrug 20 Pfennige und wurde durch den Unterkassierer persönlich eingeholt. Es wurde beschlossen, den Vorsitzenden des Sozialdemokratischen Vereins darum zu bitten, dem Gesangverein die Sammelbüchsen zur Verfügung zu stellen. Diese wurden dann in den verschiedenen Gastwirtschaften Lambrechts aufgestellt. Als im April 1901 das Geld für eine Fahne immer noch nicht reichte, beschloss man, die Sammlung für die Fahne „auf Pfingsten“ beim Konzert energisch zu betreiben. Leider brachte das Pfingstkonzert ein Defizit von 23 Mark und 1 Pfennig, und von den Mitgliedern musste bei der nächsten Generalversammlung ein Zusatzbeitrag von 20 Pfennig erhoben werden; zusätzlich bat man um freiwillige Beiträge, um den Verlust zu decken. Bei der Mitgliederversammlung am 29. August 1901 wurde beschlossen, eine Fahnenliste anzufertigen. In diese Liste konnte jedes Mitglied eintragen, welchen Betrag er bis „Neujahr 1902“ zur Fahne beizusteuern gedenke. Zudem wurde beschlossen, dass Mitglieder, die unentschuldigt der Singstunde fernbleiben, 10 Pfennig in die Fahnenkasse bezahlen und beim Zuspätkommen 5 Pfennig. Im September 1902 waren dann schon 238,88 Mark in der Fahnenkasse. Der Fahnenkassierer appellierte an die Mitglieder, die auf der Fahnenliste gezeichneten Beträge einzuzahlen, damit man im nächsten Frühjahr zum 10jährigen Stiftungsfest des Gesangvereins die Fahnenweihe feiern könnte. Am 24.1.1903 waren dann immerhin 450.- Mark in der Fahnenkasse. Wegen der anstehenden Reichstagswahlen wurde beschlossen, das 10jährige Stiftungsfest mit Fahnenweihe erst am 23. August 1903 abzuhalten. In der Generalversammlung am 15.2.1903 wurde beschlossen, die Fahne aufgrund einer Offerte bei Margarethe Grillenberger, Witwe aus Nürnberg, zum Preis von 400 Mark fertigen zu lassen. Die Fahne sollte ganz rot werden und mit dem Spruch „Sind wir von der Arbeit müde, ist noch Kraft zu einem Liede“ verziert werden. In der Folgezeit galt es, das 10jährige Stiftungsfest vorzubereiten. Über fünf Jahre hatte man nun auf eine Fahne gespart, und endlich sollte es soweit sein. Bei einer Generalversammlung am 5.7.1903 wurden hierfür die nötigen Beschlüsse gefasst. Die Stadtkapelle sei zu engagieren und solle mit 10 Mann zu 105 Mark den ganzen Tag spielen. Die Wirtschaftskommission erstattete Bericht, dass die Brauerei Neu das Bier liefere, den Hektoliter zu 19 Mark. Ferner würde sich die Brauerei verpflichten, auch für die Tische und Bänke auf dem Festplatz zu sorgen. Man einigte sich darauf, den Liter Bier für 25 Pfennig zu verzapfen und den Schoppen Wein zu 40 Pfennig. In der Sitzung wurden dann auch die nötigen Helfer eingeteilt. Es gab 3 „Einschänken“ mit je einem Kassierer und „Zäpflern“ sowie Kellnerinnen und Kellnern und Verkäufern. Ferner bestimmte man eine Ordnungsmannschaft sowie einen „Kontrolleur über das Ganze“. Über das Fest selbst gibt es leider keine Aufzeichnungen. Die Generalversammlung am 12.9.1903 berichtete jedoch von einem Kassenplus von 164,11 Mark, was auf einen zumindest kassentechnisch positiven Ausgang hindeutete. Die Fahne war geweiht, und fortan wählte man neben der Vorstandschaft jeweils auch einen Fahnenjunker nebst zwei Begleitern. Den Gewählten war dieses Amt eine besondere Ehre. Die Fahne überstand fast unversehrt zwei Weltkriege. Da der Volks-Chor während des Dritten Reiches verboten war, versteckte ein Mitglied die Fahne in dieser Zeit. Nach dem Krieg und nach der Wiedergründung des Vereins hat man die alte Fahne liebevoll restauriert. Sie hat ihren Ehrenplatz in Folie eingeschweißt im Proberaum des Volks-Chor e.V. im Haus der Vereine.


Mitgliedsbeitrag: 2 Millionen Mark
Aus dem Vereinsleben des Volks-Chor Lambrecht (2): Die „Liedesfreiheit“ im Zeitalter der Inflation

Die Hyperinflation in Deutschland kann man auch anhand der Mitgliedsbeiträge des Volks-Chors, der damals noch den Namen „Liedesfreiheit“ trug, in den 20er Jahren erkennen. In einer Generalversammlung am 1.6.1923 wurde der Monatsbeitrag für Männer auf 100 Mark, für Frauen auf 50 Mark erhöht. Ein zweiter Unterkassierer musste eingestellt werden, denn die Beiträge wurden bar bei den Mitgliedern kassiert. Damals war Überweisung oder Bankabbuchung noch nicht bekannt. Dem Unterkassierer wurde ein Jahreseinkommen von 20000.- Mark zugebilligt. Schon bei der Generalversammlung am 7.10.1923 wurde der Mitgliedsbeitrag auf 2 Millionen für Männer und 1 Million für Frauen im Monat erhöht. Im Januar 1924, nachdem die Rentenmark eingeführt wurde, setzte man den Beitrag dann auf 30 Pfennig für Männer und 20 Pfennig für Frauen fest.

Wie kam es zu dieser Hyperinflation? Die deutsche Inflation von 1914 bis 1923 war eine der radikalsten Geldentwertungen, die eine der großen Industrienationen erlebt hat. Die Vorgeschichte dieser Hyperinflation findet sich in der Finanzierung des Ersten Weltkrieges. Mit dem Ende des Krieges 1918 hatte die Mark bereits offiziell mehr als die Hälfte ihres Wertes verloren. Eigentliche Ursache der ab 1919 schon beginnenden Hyperinflation war der Umgang mit der Geldpresse in den Anfangsjahren der Weimarer Republik, um die Staatsschulden zu beseitigen. Weil die Reichsregierung nicht in der Lage war, die Reparationen in angemessener Höhe zu bezahlen oder Ersatzleistungen in Form von beispielsweise Kohle zu bringen, kam es zur Ruhrbesetzung. Die deutsche Regierung rief zum „Ruhrkampf“, zum passiven Widerstand gegen die Besetzung auf. Um die Streikenden bei Laune zu halten, wurden ihnen entsprechende finanzielle Hilfen ausgezahlt – in einer Mark, die sich durch die von der Regierung betriebene Geldvermehrung immer rascher entwertete. Damit begannen die Monate der Hyperinflation, die den Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft zur Folge hatte. Die Arbeitslosigkeit stieg, die Löhne fielen ins Bodenlose und die Kommunisten erhielten immer mehr Zulauf. Als Gustav Stresemann Reichskanzler wurde, brach er am 26. September den Ruhrkampf ab. Jetzt waren die Bedingungen gegeben, eine Stabilisierung der Währung durchzuführen. Diese Stabilisierung forderten auch die Siegermächte als Voraussetzung von Verhandlungen über die Reparationszahlungen. Mit der Währungsreform des November 1923 (Einführung der Rentenmark, Unterbindung von Spekulationen) wurde die Inflation beendet. Die wirtschaftlichen Verhältnisse konnten sich im Verlauf des Jahres 1924 stabilisieren – in ihrer Folge auch die politischen Verhältnisse. Durch die inflationäre Geldentwertung wurden die ökonomischen und sozialen Lasten des verlorenen Krieges auf die Masse der abhängig Beschäftigten und die reinen Geldvermögensbesitzer getragen, ähnlich wie heute bei der Finanzierung der Deutschen Einheit.


100 Jahre „Verschmelzungsfrage“
Aus dem Vereinsleben des Volks-Chor Lambrecht (3): Versuch der Fusion mit Gesangverein 1846 bisher erfolglos

Bereits im Jahr 1910 gab es die Absicht, sämtliche „Vergnügungsvereine“ zu vereinigen, „um den vielen Festlichkeiten der einzelnen Vereine Einhalt zu bieten“. So wurde eine Kommission aus Vertretern der einzelnen Vereine Lambrechts gebildet, um „die Angelegenheit“ voranzutreiben. Die Verhandlungen zogen sich hin. Im Februar 1911 wurde eine zweite Kommission gebildet, die aus je einem Vertreter pro Verein bestand. Diese zweite Kommission sollte die Mitgliederzahl der einzelnen Vereine vor der Verschmelzung feststellen. Bis dies geschehen war, wurde die „Verschmelzungsfrage“ auf Eis gelegt und schlief dann auch ein. Im Jahr 1914 fragte ein Sangesbruder in einer Generalversammlung an, wie weit es mit der Verschmelzungsfrage mit dem alten Gesangverein stehe. Der damalige Vorsitzende gab an, dass die „Sache so weit im Gange sei“; alle Vertreter beider Vereine seien zu einer Sitzung eingeladen worden, und in dieser Sitzung solle dann weiter dabattiert werden. Der erste Weltkrieg kam und verhinderte die Verschmelzung, die Chortätigkeit ruhte. Nach der Wiederaufnahme der Vereinstätigkeit wurde bereits in der ersten Generalversammlung von einem Sangesbruder angefragt, wie weit die Verhandlungen zwecks Vereinigung mit dem alten Gesangverein vor dem Krieg gediehen seien. Der Vorsitzende erklärte, dass damals nichts erreicht worden sei, doch sollten jetzt wieder weitere Schritte gemacht werden. Am 1. März 1919 traf man sich im Lokal der Witwe Becker zu einer Besprechung der beiden bürgerlichen Gesangvereine. Die Herren waren alle für eine Verschmelzung zu haben, aber vom Arbeitersängerbund wollten sie nichts wissen. In einer Mitgliederversammlung stärkten die Mitglieder den Vorständen diesbezüglich den Rücken und bekräftigten den Wunsch, im Arbeiter-Sängerbund zu bleiben. Dies verhinderte damals die „Verschmelzung“.
Der Gesangverein „Liedesfreiheit“, der viele aktive Mitglieder im ersten Weltkrieg verlor, machte dann entsprechend Werbung. Man versuchte durch Besprechungen mit dem Gewerkschaftsvorstand und den Vorständen der freien Sportvereine den Chor wieder lebensfähig zu machen. Nach dem Verbot des „Volks-Chor Lambrecht“ durch die Nazis im Jahr 1933 wechselten einige Sänger in den alten Gesangverein, um weiter in einem Chor singen zu können. Im Jahr 1947 wurde der Volks-Chor nach dem Zweiten Weltkrieg wieder gegründet. Im Jahr 1948 richtete die Stadtverwaltung ein Schreiben an alle Vereine zwecks Gründung eines „Kulturrings“ und bat je zwei Delegierte pro Verein zu einer Aussprache. Dieser Kulturverein sollte das Geißbockfest und den Sommertag beleben und den Fremdenverkehr ankurbeln. Weiter sollte dieser Kulturverein die Veranstaltungen der Vereine überwachen, damit ein „Zusammenfallen von Festlichkeiten auf einen Tag oder einen kurzen Zeitraum“ vermieden werde. Dies wäre auch in der heutigen Zeit wieder dringend notwendig.
In der damaligen Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurden viele Festlichkeiten gemeinsam bestritten. So tagten oft die Vorstände des Volks-Chors gemeinsam mit den Naturfreunden, weil sie zumeist den Maskenball gemeinsam abhielten.
In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg teilte man sich auch im Schulsaal ein Klavier mit dem alten Gesangverein. Zu mehr Zusammenarbeit war man damals nicht bereit. Nachdem in beiden Chören die Zahl der aktiven Sänger immer weiter zurückging, vereinbarte man im Jahr 1992 eine Zusammenarbeit mit dem Gesangverein 1846, der damals noch ein reiner Männerchor war. Hierzu tagten die beiden Vorstände am 16.7.1992 gemeinsam mit ihren jeweiligen Chorleitern, um die Fakten für eine Zusammenarbeit festzulegen. Man einigte sich auf eine Kooperation, da es damals für beide Chöre schwer war, wegen der geringen Zahl aktiver Sänger öffentlich aufzutreten. Der Volks-Chor stand vor seinem 100jährigen Jubiläum. Die beiden Vorstände vereinbarten, dass die beiden Chöre jeweils wöchentlich gemeinsam proben und sich die beiden Chorleiter wöchentlich abwechselten. Die beiden Chorleiter mussten sich selbstverständlich gut abstimmen, damit das Jubiläumskonzert ein Erfolg werden konnte. Die Chöre arbeiteten sehr gut zusammen und man verstand sich auch untereinander sehr gut. Man trat in der Öffentlichkeit nur noch gemeinsam auf und stimmte auch die Jahrespläne aufeinander ab. Das Jubiläumskonzert verlief problemlos und in voller Harmonie.
Doch schon im Folgejahr kam es unerwartet zum Bruch. Nach Darstellung von Volks-Chor-Mitgliedern erklärte einer der Vorstände des Gesangvereins 1846 bei einer gemeinsamen Weihnachtsfeier im Dezember 1993 auf dem Höhepunkt der Feier, dass die Zusammenarbeit ab sofort beendet sei. Damit habe er die Stimmung der Weihnachtsfeier innerhalb weniger Sekunden auf den Nullpunkt gebracht; auch die Mitglieder des Gesangvereins seien schockiert gewesen. Bis heute habe der Volks-Chor nicht in Erfahrung bringen können, ob diese Entscheidung überhaupt vom Vorstand des Gesangvereins beschlossen worden sei oder es sich um einen Schachzug weniger Einzelpersonen gehandelt habe. Einige Sänger des Gesangvereins hätten sich über diesen Stil derart geärgert, dass sie in den Volks-Chor übergetreten seien. Über die Gründe dieser Entscheidung sei der Volks-Chor nie unterrichtet worden.
Die Vorsitzende des Volks-Chors, Hanne Hartmann, bedauert, dass die nunmehr 100 Jahre währenden Versuche einer Zusammenarbeit weitgehend fruchtlos geblieben seien: „Es sollte zum Nachdenken anregen, dass es in der heutigen Zeit nicht möglich ist, gemeinsame Interessen auch gemeinsam weiterzuführen im Interesse eines besseren, stimmgewaltigeren Chorgesangs.“


Verbot und Neugründung
Aus dem Vereinsleben des Volks-Chor Lambrecht (4): Nach dem Zweiten Weltkrieg

Im Vorfeld der Gründungsversammlung notierte Heinrich Strauch I. als Schriftführer Folgendes im Protokollbuch des Volks-Chors:
„Rückblick:
Der Gesangverein ‚Liedesfreiheit‘ wurde am 21. November 1893 gegründet. Der Vorstand setzte sich damals aus folgenden Sangesgenossen zusammen:
1. Vorsitzender: Philipp Selinger
2. Vorsitzender Jacob Merkel
Kassierer Josef Strauch
Beisitzer Julius Dierfeld, Jacob Wagner, Philipp Kanz, Heinrich Hauck II.
Ersatzleute waren Daniel Steiner, Friedrich Schanz, Wilhelm Pfaff, Caspar Vogel und Heinrich Lieser I.
Der Verein hatte in seinen Anfängen schwer zu kämpfen, um sich durchzusetzen, da die damaligen Behörden ihn schon als politischen Verein stempelten, erst Ende der 90er Jahre konnte er sich so zusagen durchsetzen.
Nach Ausbruch des Krieges 1914 – 1918 ruhte die Vereinstätigkeit. Erstmals wieder am 9. Februar 1919 nahm der Verein seine Tätigkeit auf.
Die erste Aufgabe der Vorstandschaft bestand darin, sich mit dem Männergesangverein 1846 zwecks Verschmelzung in Verbindung zu setzen.
Am 31. März 1919 fand im Lokal Becker eine kombinierte Sitzung statt, in der die verschiedenen Punkte, die zu einer Einigung führen sollten, behandelt wurden.
Eine Einigung konnte nicht erzielt werden, weil von Seiten der Vertreter des Gesangverein 1846 von mir verlangt wurde, aus dem Arbeiter-Sängerbund auszutreten. Einem derartigen Verlangen konnten wir nicht zustimmen und scheiterten deshalb die Verhandlungen.

Auch die Kriegsjahre 1914 – 18 sind nicht ohne Folgen für den Verein vorübergegangen, da er sich oftmals in den darauffolgenden Jahren in finanzieller Notlage befand, aber trotzdem sich dank seiner treuen Mitglieder behaupten konnte.
Die Jahre 1926 – 1933 brachten der Liedesfreiheit einen Aufstieg, zu dem sein damaliger Dirigent, Herr Otto Schandt, Mannheim, seinen Teil beitrug. Nach dem Scheiden des Herren Schandt trat Musikdirektor Heinrich Geiger, Kaiserslautern, an seiner Stelle unter dessen Leitung der Verein sich zu höchsten Blüten führte und die Zahl der Sänger und Sängerinnen nahezu 120 Personen vereinigte.
Unter der Leitung des Musikdirektor Geiger wurde die ‚Liedesfreiheit‘ in ‚Volks-Chor Lambrecht‘ umgetauft.
Bei der Machtübernahme des Idioten Adolf Hitler im Jahre 1933 wurde der ‚Volks-Chor‘ als staatsfeindlich erklärt, sein gesamtes Vermögen, bestehend in Bargeld, Fahne, Liedermaterial und Mobiliar beschlagnahmt und verboten, erst 2 Jahre nach dem von den Nazibanden heraufbeschworenen Kriege 1933-1945 konnten wir am 22. März 1947 unsere Tätigkeit erneut wieder aufnehmen.“
Im Protokoll der Gründungsversammlung selbst heißt es:
„Nachdem von der französischen Militärregierung die Genehmigung zur (Wieder-) Gründung des Volks-Chor erteilt wurde, fanden sich am Samstag, den 22. März 1947 im Saale Kuckert (früher Ruff) eine Anzahl früherer Sangesbrüder und Sangesschwestern ein, um den von der schamlosen Hitler-Regierung im Jahr 1933 verbotenen Verein, der damals auf Grund seiner gesanglichen Darbietungen auf der Höhe stand, wieder ins Leben zu rufen. Nach einleitenden Worten des Sangesbruder Georg Köhler II., der mit einigen weiteren Sangesbrüdern die Vorarbeiten, die zur Genehmigung der Gründung notwendig waren, vorbereitete, schritt man zur Wahl des neuen Vorstandes. 1. Vorstand nach der Wiedergründung wurde Ludwig Glas II. Der monatliche Beitrag wurde für männliche Mitglieder auf 0,80 Mark, für weibliche Mitglieder auf 0,50 Mark festgesetzt. Ein Dirigent wurde gesucht. Der 1. Vorstand wurde beauftragt, sich mit dem von Herrn Musikdirektor Geiger, der den Chor vor dem Verbot durch die Nazis geleitet hatte, empfohlenen Richard Glitzing aus Haardt, der damals den Mußbacher Gesangverein dirigierte, in Verbindung setzen, um ihn für den Volks-Chor zu gewinnen. Herr Klitzing erklärte sich dazu bereit, so dass am 16. April 1937 die erste Singstunde mit gemischtem Chor in einem Saale der Volksschule stattfinden konnte. Bereits im Juli 1947 konnte der Verein ein Wertungssingen veranstalten, das beim anwesenden Publikum großen Anklang fand. Durch die Währungsreform und der damit verbundenen Geldknappheit sah sich der Ausschuss des Volks-Chor gezwungen, eine Reduzierung der monatlichen Beiträge vorzunehmen. Diese wurden bis auf weiteres für männliche Mitglieder auf 0,60 Mark und für weibliche Mitglieder auf 0,40 Mark monatlich festgesetzt.“


Pragmatische Emanzipation und bargeldloser Zahlungsverkehr
Aus dem Vereinsleben des Volks-Chor Lambrecht (5): Kurioses und Erheiterndes aus der Vereinsgeschichte

Frauen? Nein, danke.

Der Arbeitergesangverein „Liedesfreiheit“ wurde 1893 als reiner Männerchor gegründet. Bereits im Jahr 1913 wurde in einer Generalversammlung der Wunsch geäußert, auch einen Frauen- und Mädchenchor einzuführen. Die Frauen der Sänger halfen schon in der Vergangenheit bei Festen, konnten aber nicht Mitglied werden. Diesem Wunsch wurde entsprochen, und es gab nun auch Singstunden für Frauen und Mädchen. Im Herbst 1926 legte man die Singstunden zusammen, aber nicht etwa, weil man gerne als gemischter Chor singen wollte. Nein, das war aus der wirtschaftlichen Not geboren. Man konnte den Dirigenten nicht zwei Mal wöchentlich bezahlten. So war die schlechte finanzielle Lage des Chors der Grundstein für die Bildung eines gemischten Chors.

Wer braucht eine Geige?

Der Gesangverein „Liedesfreiheit“, heute Volks-Chor Lambrecht e.V., war Ende des 19. Jahrhunderts im Besitz einer Geige, die nicht mehr für Vereinszwecke gebraucht wurde. Was nun tun mit der Geige? In einer Versammlung am 9. Oktober 1899, wie üblich im Lokal des Carl Schlosser, schlug man vor, dass die dem Verein gehörende Geige ausgelost oder ausgekegelt werden sollte. Man entschloss sich dazu, beides zu tun. Jedes aktive Mitglied wurde verpflichtet, mindestens fünf Lose à 20 Pfennig zu nehmen, das Kegeln wurde auf der Bahn von Carl Schlosser ausgeführt. Es wurden nur Mitglieder zugelassen, um die Geige zu losen und zu kegeln. Leider ist in den Protokollbüchern nicht vermerkt, wer der glückliche Gewinner war...

Wie kommt der Verein zu seinem Geld?

In der Zeit, als der Volks-Chor Lambrecht e.V. als Gesangverein „Liedesfreiheit“ im Jahr 1893 gegründet wurde, gab es noch keinen unbaren Zahlungsverkehr. Die Vereinsbeiträge wurden bar an der Haustür kassiert. Hierfür gab es einen Unterkassierer, der die Beiträge einholte. Man nannte diesen auch „Vereinsdiener“. Dafür bekam er in der Regel ein kleines Salär, denn der musste sich die „Hacken ablaufen“. Im Jahr 1900 bekam er 10 Pfennig von jedem Jahresbeitrag. Die Arbeiter erhielten damals noch wöchentlich ihre „Lohntüte“. Noch bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts war es üblich, Löhne und Gehälter bar auszuzahlen. Im Jahr 1976 wurde erstmals der Antrag in einer Generalversammlung gestellt, den Beitrag nicht mehr bar zu kassieren, sondern das Geld auf ein Girokonto des Vereins überweisen zu lassen. Dieser Antrag wurde „wegen der Mehrbelastung der Kassiererin“ abgelehnt. Erst im Jahr 1989 wurde in der Satzung verankert, dass der Beitrag auch per Bankeinzug bezahlt werden kann.

Keine Leistung ohne Gegenleistung?

Der Gesangverein „Liedesfreiheit“ als Vorgänger des Volks-Chor Lambrecht e.V. trat oft bei anderen Vereinen wie den freien Turnern, dem Radfahrverein, dem Touristenverein, dem Gewerkschaftskartell, dem Sozialdemokratischen Verein und auch bei Veranstaltungen der Stadt wie Sommertag und Geißbockfest auf. Bei der Generalversammlung am 1. August 1908 wurde seitens eines Sangesbruders Klage darüber geführt, dass die Festlichkeiten von Seiten der verschiedenen Vereine überhand nehmen, bei denen der Chor jedes Mal „seine Schuldigkeit“ tun soll, jedoch sei von einer Unterstützung des Chors bei dessen Festlichkeiten keine Rede; der Verein schließe mit Defizit ab. Um hier etwas Abhilfe zu schaffen, wurde nach kurzer Debatte beschlossen, dass bei Festlichkeiten, bei denen der Chor mitwirken soll, nur dann Zusage erteilt wird, wenn dem Chor die Ausgaben für den Dirigenten, die für die Singstunden zum Einüben der betreffenden Lieder erwachsen, vom gastgebenden Verein bezahlt werden. In einer späteren Sitzung modifizierte man das etwas, indem man nur das Salär für den Dirigenten beim Auftritt einforderte.

Mehr als nur Gesang

Der Arbeitergesangverein „Liedesfreiheit“, aus dem der Volks-Chor Lambrecht e.V. hervorgegangen ist, brachte nicht nur Liedgut zur Aufführung. Viele Veranstaltungen wurden zudem geschmückt mit „komischen und humorigen Aufführungen“. Es war wichtig, dass die Menschen Abstand vom Alltag bekommen und sich einfach nach getaner Arbeit amüsieren konnten. Die Eintrittspreise waren sehr niedrig angesetzt, so dass sich die Arbeiterschaft dies leisten konnte.
Kein Konzert wurde ohne anschließenden Ball abgehalten. Die Tanzveranstaltungen nach dem Konzert waren gerade für die jüngeren Besucher das, was heute für unsere Teenager die Disco ist. Musik gab es damals noch nicht aus der Konserve wie heute, das Radio hielt in Deutschland erst ab dem Jahr 1920 seinen Einzug. Musik wurde also damals immer life gespielt oder gesungen.
Die Eintrittspreise wurden jeweils für Konzert und Ball separat bezahlt. Lustig ist, dass die Verheirateten immer weniger zahlen mussten als die Ledigen und dass der „Anhang“ frei war. Lange bevor es den Karnevalsverein „Die Lambrechter Gäsböck“ gab, die ja im letzten Jahr ihr 55jähriges Bestehen feierten, waren es die Leute vom Volks-Chor, die alljährlich an Fastnacht einen Maskenball abhielten und für die Unterhaltung der Lambrechter Bevölkerung sorgten. Einen Maskenball beim Volks-Chor gibt es heute nicht mehr, bis in die heutige Zeit erhalten hat sich jedoch die „närrische Singstunde“.


Der Volks-Chor als Arbeitergesangverein
Aus dem Vereinsleben des Volks-Chor Lambrecht (6): Der Chor ist stolz auf seine Wurzeln

Der Volks-Chor Lambrecht ging in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts aus dem Arbeitergesangverein „Liedesfreiheit“ hervor. Auch die Neugründung nach dem Verbot durch die Nazis erfolgte am 22. März 1947 unter dem Namen „Arbeitergesangverein Volks-Chor Lambrecht“. Wenngleich der Chor heute nicht mehr politisch ausgerichtet ist, bekennt er sich doch gerade anlässlich des im Jahr 2013 bevorstehenden 120-jährigen Jubiläums zu seinen Wurzeln in der Arbeiterbewegung.

Die Arbeiter-Bewegung

Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts gründeten sich Arbeitervereine. Arbeitervereine waren aus der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts hervorgegangene Zusammenschlüsse mit politischem Charakter. Historisch betrachtet waren die Ziele der Mehrzahl aller Arbeitervereine eine spürbare Verbesserung der sozialen Lage der Arbeiterschaft und bessere Arbeitsbedingungen. Der Arbeiter, der mit anderen singen wollte oder Sport treiben, ins Theater gehen oder als Naturfreund wandern, konnte sich einem der vielen Vereine anschließen, die im Arbeitermilieu entstanden. Es ging um Solidarisierung und sichtbare Gemeinschaft, um kulturellen Wetteifer.
Im Zuge dieser Bewegung trafen sich am 7. November 1893 abends um acht Uhr im Lokal des Carl Schlosser die Interessenten, die einen Arbeitergesangverein in Lambrecht gründen wollten. Sie wählten einen provisorischen Vorstand nebst Ausschuss. Diese provisorische Verwaltung wurde beauftragt, alles weitere zu veranlassen. Damals war zur Gründung eines Vereins eine entsprechende Genehmigung einzuholen, da sich politische Kräfte unter den Deckmänteln von Arbeitervereinen tummelten, um den Sozialistengesetzen zu entgehen. Am 21. November 1893 tagte dann abends um acht Uhr die Generalversammlung. Der provisorische Vorstand las die vorgefertigten Statuten vor, und etliches wurde von der Generalversammlung geändert. Anschließend wählte man einen Vorstand. Der erste Vorsitzende, damals Philipp Selinger, wurde damit beauftragt, die Statuten ordnungsgemäß abzufassen und den Verein bei der Behörde anzumelden. Sie gaben dem Arbeitergesangverein den Namen „Liedesfreiheit“, und sofort fand sich jemand mit Namen Fritz Lennhard, der unentgeltlich die Leitung und Erlernung des Gesangs übernahm. Die Proben sollten jeden Dienstag und Donnerstag abends um halb neun Uhr bei Carl Schlosser im Lokal statt finden. Bereits im Dezember 1893 erhielt der erste Vorstand die Statuten vom königlichen Bezirksamt zurück. Es gab keine Beanstandung, und der Verein war als genehmigt zu betrachten. Ein halbes Jahr später jedoch musste die Satzung abgeändert werden, weil das königliche Bezirksamt den Verein für einen politischen hielt. Der § 2 erhielt folgenden Wortlaut: „Der Verein besteht aus aktiven, passiven und Ehrenmitgliedern. Mitglied kann jeder Mann werden, der das 21. Lebensjahr zurückgelegt hat und ihm ein ehrenhafter Ruf nachgewiesen werden kann“. Mit dieser neuen Formulierung war die Behörde dann zufrieden.
Man trat damals dem badischen Arbeitersängerbund bei, da in der Pfalz noch kein solcher existierte. Dieser gehörte zur die „Liedergemeinschaft der Abeiter-Sängervereinigungen Deutschlands“, woraus 1908 der „Deutsche Arbeiter-Sängerbund“ (DAS) gebildet wurde. Der DAS war Teil der Arbeiterbildungs-bewegung, die zum Ziel hatte, dem Proletariat die Bildung zukommen zu lassen, die ihm auf Grund seiner Rolle im Produktionsprozess nicht möglich gewesen wäre. Der DAS sollte darin dazu beitragen, dass Arbeitern eine musische Bildung zukommt. Dies bestand zum Beispiel darin, dass die Gesangsvereine Werke der bürgerlichen Musik einstudierten, insbesondere der Komponisten, deren Werk selbst Teil der bürgerlich-demokratischen revolutionären Entwicklung im 18. und 19. Jahrhundert war. Großer Beliebtheit erfreuten sich daher die Werke Beethovens, Mozarts und vor allem Händels, zu dessen politischen Implikationen sich zusätzlich noch eine gewisse technische Einfachheit gesellte.
Um das Jahr 1900 wollten die Arbeitergesangvereine in der Pfalz, der Arbeitergesangverein „Liedesfreiheit“ Lambrecht war da mit in vorderster Reihe, einen eigenen Sängerbund gründen. Aber wegen der geringen Anzahl pfälzischer Vereine nahm man davon Abstand. Der badische Arbeitersängerbund wurde zum badisch-pfälzischen Sängerbund, da immer mehr pfälzische Vereine beitraten. Erst im Jahr 1902 trat man aus dem badisch-pfälzischen Sängerbund aus und in den Pfälzischen Sängerbund ein, der sich zwischenzeitlich gebildet hatte.

Musik und Politik?

Im Jahre 1910 beteiligte sich der Arbeitergesangverein „Liedesfreiheit“ an der Maifeier in Neustadt. Diese fand auf dem Hambacher Schloss statt. Man vereinbarte, sich morgens um halb zwölf am Lokal Bitsch zu treffen und dann durch die Ortsstraßen zu Fuß nach Neustadt zu gehen. Auf dem Festplatz sollten dann von den anwesenden Gesangvereinen Liedvorträge stattfinden. Anschließend wollte man gemeinsam auf das Hambacher Schloss hochgehen, um gemeinsam gegen das Preußische Dreiklassenwahlrecht zu demonstrieren.
Was war das Dreiklassenwahlrecht? Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. führte 1849 das Dreiklassenwahlrecht ein, das in Preußen bis 1918 erhalten blieb. An den Abstimmungen durften sich nur Männer mit einem Mindestalter von 24 Jahren beteiligen. Entsprechend ihres Steueraufkommens wurden die Stimmberechtigten drei verschiedenen Abteilungen zugeordnet. Jede von ihnen bestimmte ein Drittel der Wahlmänner. Weil etwa achtzig Prozent der Wähler zur niedrigsten Abteilung gehörten, führte das System zu einem erheblichen Ungleichgewicht der Stimmen. So durfte der Industrielle Alfred Krupp in Essen ein Drittel der Wahlmänner für die Stadtverordneten selbst festlegen, weil er als einziger der ersten Klasse angehörte. Die Wahlmänner wiederum gaben ihre Stimmen öffentlich ab, waren dadurch leicht kontrollierbar und konnten unter Druck gesetzt werden. Mit den Wahllisten lagen auch die Steueraufkommen aus. Das Dreiklassenwahlrecht galt für Kommunalwahlen ebenso wie für Wahlen zum Abgeordnetenhaus. Das Dreiklassenwahlrecht wurde im Volksmund auch „Geldsackwahlrecht“ genannt. „Es ist verständlich, dass unsere Vorfahren gegen dieses Gesetz protestierten und wir sind stolz darauf“, so Hanne Hartmann, die heutige Vorsitzende des Volks-Chors.


Mitgliedermangel und Zukunftssorgen
Aus dem Vereinsleben des Volks-Chor Lambrecht (7): Gedanken des 1. Vorsitzenden im Jahr 1962

In seiner Generalversammlung am 6. Januar 1962 sagte der damalige Vorsitzende des Volks-Chor Lambrecht e.V., Karl Kückel, laut Protokoll unter anderem Folgendes in seinem umfassenden Geschäftsbericht:
„Wieder ist ein Jahr zu Ende. Ein Jahr, das unserem Vereinsleben manche Höhepunkte brachte, das aber kritisch betrachtet, nicht das von uns allen Erhoffte zeigte, nämlich den Mitgliederstand der Aktivität zu steigern. Immer wieder muss man die Feststellung treffen, dass das Desinteresse am kulturellen Leben innerhalb unserer Bevölkerungsschicht immer mehr Platz ergreift und nur noch selten jemand zur aktiven Mitarbeit zu bewegen ist. Wenn dies auch als trauriges Zeichen zu betrachten sei, so dürfen wir trotz allem stolz darauf sein, noch ein ansehnlicher Kreis zu sein, der den Glauben an das kulturelle Gut und somit hin den Glauben an unsere Zukunft noch nicht verloren hat.“ Schon damals hatte der Chor also einen gewissen Mangel an aktiven Mitgliedern zu beklagen; aber schon damals erlebten die Mitglieder, wieviel Wahrheit in der Spruchweisheit steckt: „Durch Eintracht werden kleine Dinge groß, durch Zwietracht große Dinge klein.“
Ein Sangesfreund beklagte in derselben Sitzung ebenfalls den Rückgang der aktiven Sängerzahlen und das fehlende Interesse am Chorgesang. Er sagte, dass dies als „Allgemein-Problem in der ganzen Welt“ zu betrachten sei. „Wenn es uns nicht gelingt. unsere Nachkommen mit unseren Belangen und Zielsetzungen zu begeistern, dann kommt das unvermeidliche Ende und wir sterben als Gesangverein aus.“
Ein Jahr später konnte der Vorsitzende in seinem Rechenschaftsbericht sagen, dass der Chor im vergangenen Jahr seine an ihn gestellte Aufgabe zur vollsten Zufriedenheit erfüllt und gleichzeitig unter Beweis gestellt habe, dass er sich seiner kulturellen Verpflichtung voll und ganz bewusst sei. Er erinnerte an das durchgeführte Chor- und Orchesterkonzert, das deutlich gezeigt habe, dass der Volks-Chor in breiten Bevölkerungsschichten große Sympathien genieße und es immer wieder verstehe, durch ausgezeichnete Darbietungen das Interesse am kulturellen Leben zu wecken. Wenn auch im Zeichen der Technisierung ein allgemeines Desinteresse Platz zu greifen drohe, so sei es erfreulich, dass der Chor bei seinen Veranstaltungen immer einen größeren Zuspruch finde. Dies gebe den Sängerinnen und Sängern Kraft zur Erfüllung ihrer Mission als Träger unserer Kultur. Oftmals endeten die Generalversammlungen mit Sprüchen wie: „Nicht verzagen, Lieder tragen, im frohen Chor, das Herz empor“ oder: „Es schwinden jedes Kummers Falten, solang der Lieder Zauber walten“.


Das liebe Geld…
Aus dem Vereinsleben des Volks-Chor Lambrecht (8): Wie der Chor sein Wirtschaftswunder und seine Finanzkrise erlebte

Dass die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung auch an einem Verein nicht spurlos vorübergeht, zeigen die Protokollbücher des Volks-Chors in eindrucksvoller Weise. Von den 2 Millionen DM Mitgliedsbeitrag haben wir in dieser Reihe bereits berichtet. Doch auch nach der Inflationszeit war es um die Finanzen des Arbeitergesangvereins „Liedesfreiheit“, wie der Chor damals hieß, schlecht bestellt. Um den Verein im Jahre 1926 finanziell über Wasser zu halten, hat man Anteilsscheine (1000 Stück zu je 50 Pfennig) ausgegeben. Zudem stellte der Verein ein Gesuch an die Stadt, die Saalmiete in Höhe von 25 Mark im Monat zu erlassen. Die wirtschaftliche Lage war schlecht, und man beschloss, Festlichkeiten mit anderen Vereinen zusammen abzuhalten, z.B. Maskenbälle gemeinsam mit den freien Turnern im Beerental. Im Herbst 1926 legte man aus wirtschaftlichen Gründen die Singstunden des Männer- und des Frauenchors zusammen, so dass der erste gemischte Chor geboren war.
Anfang der 50er Jahre stellte man in Absprache mit dem Gesangverein 1846 immer die gleichlautende Anfrage an die Stadt mit der Bitte um Unterstützung, die auch weitgehend gewährt wurde. Im Jahr 1954 wurde die finanzielle Lage des Volks-Chor Lambrecht erneut immer prekärer. Die Beitragseinnahmen reichten nicht aus, um das Dirigentenhonorar zu bezahlen, geschweige denn die Miete für den Schulsaal und die Miete für Säle bei Konzerten. Der Vorstand richtete eine Eingabe an die Stadt, dem Verein die Miete für den Schulsaal zu streichen oder zumindest zu ermäßigen, was diese ablehnte. Der Vorstand beschloss daraufhin, einen Antrag an das Amt für Wiedergutmachung zu stellen, um den Schaden durch die Beschlagnahme des Vermögens im Jahre 1933 erstattet zu bekommen. Man beantragte hierfür 3169 Mark. In den Folgejahren wurde der Antrag immer wieder neu gestellt, weil es keine Resonanz gab. Die Sangesbrüder und -schwestern träumten davon, von dem Geld einen Flügel kaufen zu können. Erst im Jahr 1964 wurde dem Antrag teilweise stattgegeben, und der Grundstock für einen Flügel war gelegt. Das Geld wurde als Rücklage betrachtet, bis sich eine Gelegenheit für einen günstigen Kauf eines Flügels bot. Im Jahr 1967 war es endlich soweit: der Flügel wurde gekauft.
Gegen Ende der 60er Jahre erlebte der Verein finanziell seine besten Zeiten. Trotz großer Anschaffungen – es wurde eine Schreibmaschine, ein Tonbandgerät und einiges Notenmaterial gekauft – hatte der Verein ein gutes finanzielles Polster. Kassiererin war damals Gretel Müller, die auch heute noch im Sopran den Chor mit ihrer Stimme bereichert.
In den 70er Jahren konnte der Chor kostenlos im Städtischen Saal in der Wallonenstraße üben und dort auch kleinere Festlichkeiten abhalten. Die Konzerte und der obligatorische Maskenball fanden im Turnerheim im Beerental statt. Im Jahr 1977 fand der traditionelle Maskenball erstmals im Hotel Kuckert statt, da der TSV eine zu hohe Saalmiete für das Turnerheim forderte. Später fanden die Konzerte in der Schulturnhalle statt, die dem Chor kostenlos zur Verfügung gestellt wurde.
Nach Übergang der Zuständigkeit auf die Verbandsgemeinde mussten die Vereine Miete für die Nutzung der Turnhalle bezahlen. Deshalb machte man den Versuch, ein Konzert in der protestantischen Kirche Lambrecht zu veranstalten, die eine ausgezeichnete Akustik hat. In jüngster Zeit finden die Konzerte des Volks-Chor im Bühnensaal des Gemeinschaftshauses statt, wo eine wesentlich bessere Atmosphäre als in der Schulturnhalle herrscht.
Im Jahr 1986 wurde das sanierte Schulhaus als „Haus der Vereine“ in Dienst gestellt, und jeder kulturtreibende Verein Lambrechts hatte die Möglichkeit, einen ehemaligen Schulsaal als Übungsraum zu bekommen. Damit hatte der Volks-Chor erstmals einen eigenen Raum. In der Anfangszeit wurde dieser Raum von der Stadt kostenlos zur Verfügung gestellt, was der Vereinsförderung diente. Da die finanziellen Verhältnisse der Stadt aber immer schlechter wurden und die Stadt keinen Überschuss mehr im Haushalt hatte, mussten die Vereine ab dem 1.1.1990 Miete bezahlten, zudem wurden die Nebenkosten auf die Vereine umgelegt, und zwar rückwirkend ab dem Jahr 1988. Dies hat in die Finanzen der Vereine wiederum große Löcher gerissen, da die Ausgaben ja nicht geplant waren. Auch beim Volks-Chor traf dies zu, und die in vielen Jahren angehäuften Gelder schrumpften merklich. Auch heute ist die finanzielle Situation so, dass der Chor mit ausschließlich den Mitgliedsbeiträgen nicht in der Lage ist, die Dirigentenhonorare, die Abgabe an den Verband sowie die Miete und Nebenkosten für den Proberaum zu decken. Ohne Spenden und Überschüsse aus Vereinsveranstaltungen könnte der Vereinsbetrieb nicht weiter geführt werden.